Schon seit Jahrzehnten gilt in der Autobranche das Motto: „Das erste Auto verkauft der Vertrieb, die nächsten der Service“. Ohne eine hohe Kundenzufriedenheit mit Service und Vertrieb verpufft der Vertriebserfolg im Produktgeschäft. Das gilt für Pkw wie für Maschinen und Anlagen und weitere langfristig nutzbare Güter.
Spare Parts und Corona
Mit Blick auf die COVID-19-Krise lässt sich feststellen, dass die Nachfrage nach Spare Parts – gerade in wirtschaftlich schwierigen konjunkturellen Zeiten – steigt, da Produkte, Maschinen und Anlagen eher gewartet und repariert als durch neue ersetzt werden (es sei denn, die Kundenanlagen stehen still). In Zeiten von Corona wird oft die Unterbrechung der Lieferkette thematisiert. Aber bei Ersatzteilen ist die Goldene Regel „höchste Verfügbarkeit vor Bestandskosten“ schon immer gegeben, Corona hin oder her. Allein an diesen beiden Aspekten lässt sich erkennen, dass Spare Parts und Serienteile viele Unterschiede aufweisen. Aus diesem Grund soll die Frage beantwortet werden, wo denn die wichtigsten Trends in der näheren Zukunft im Spare Parts Management liegen.
Trend 1: Aufbau von Service Supply Chains
Im Zuge von Standardisierungs- und Lean-Überlegungen haben gerade Unternehmen im Maschinen- und Anlagenbau ihre Ersatzteilaktivitäten oft mit denen der Serienlogistik gebündelt, um vermeintliche oder reale Synergien zu schöpfen. Das Geschäft mit Spare Parts ist aber anders: geringe Auftragspositionen, schlechte Prognostizierbarkeit, schwankende Bedarfe, Losgröße 1, sind nur wenige Eigenschaften dafür, dass das Spare Parts-Geschäft anders läuft. Lediglich beim Thema Termintreue müssen heutzutage die Unterschiede nicht mehr signifikant sein: Denn auch bei Serienteilen mit JiT oder JiS kommt es auf höchste Termintreue und Zuverlässigkeit an. Schlussendlich entscheiden sich immer mehr Unternehmen dazu, eigene Service Supply Chains aufzubauen. Führt man beide Bereiche weiterhin unter einem Dach, besteht zu Recht die Gefahr, dass die Ersatzteilbedarfe – wegen geringer Mengen – nur an Priorität 2 hinter der Serienversorgung stehen, ob jene wirtschaftlich wesentlich attraktiver sind.
Trend 2: Zentralisierung der Ersatzteillogistik
Der Trend einer Zentralisierung der Ersatzteillogistik ist an sich nicht neu, behält aber seine Relevanz. Vor dem Hintergrund relativ stabiler oder sogar sinkender Transportkosten bündeln immer mehr Unternehmen ihre Ersatzteile, um Effizienzpotenziale hinsichtlich Personal, Flächen und Equipment zu heben. Als aktuelle Beispiele seien thyssenkrupp elevators in Spanien (für ganz Südeuropa) oder das familiengeführte Unternehmen Bizerba in Balingen genannt.
Bei der Ermittlung des richtigen Standorts haben sich Center-of-Gravity-Simulationen bewährt, die toolbasiert den optimalen Standort unter Beachtung der eingehenden und ausgehenden Lieferströme ermitteln.
Eine generelle lessons learned von Corona ist zweifelsohne, dass Zentralisierung bei Lieferanten, Produktionsstätten, Lagerstätten und Logistikdienstleistern auch die Abhängigkeit erhöht. „Zentralisierung“ muss daher nicht heißen, dass es am Ende nur noch ein Ersatzteillager gibt! Denn bereits das historische Beispiel des abgebrannten Ersatzteilzentrums von Ford Köln im Jahr 1977 hat dazu geführt, dass Oldtimer-Fans noch 2020 bestimmte Teile fehlen.
Trend 3: Professionalisierung im Spare Parts Controlling
Traditionell gehen Anbieter von Spare Parts von hohen Gewinnmargen aus. Oft basiert diese Annahme aber auf Verbandsstudien oder einem gewissen Bauchgefühl, weniger auf konkreten Zahlen, Daten oder Fakten. Fragen nach den anfallenden Logistikkosten, idealerweise in Form von Prozesskostensätzen wie Kommissionierkosten pro Auftrag, Retourenkosten pro Artikel oder Kunde(nsegment), können nur wenige Unternehmen beantworten. Auch Aussagen wie „Wir haben nur A-Kunden im Ersatzteilgeschäft!“ können ein Indiz für einen ineffizienten Logistik- und Vertriebsprozess im Ersatzteillogistik-Geschäft sein.
Anders formuliert: Im Endeffekt müssen auch Spare Parts wie Produkte verstanden werden, für die es eine klare Profit and Loss-Verantwortung gibt. Das erfordert auch bei Spare Parts die Einführung und Steuerung über geeignete Produktivitäts-, Wirtschaftlichkeits- und Qualitätskennzahlen.
Trend 4: Einführung von Predictive Maintenance
Die beste Ersatzteillogistik funktioniert nicht, wenn die Bedarfsplanung nicht funktioniert. In Zeiten von VUCA (Akronym für Volatility, uncertainty, complexity and ambiguity) ist die Zukunft einerseits immer schwieriger prognostizierbar, andererseits stehen dank Big Data immer mehr maschinen- und produktbezogene Daten zur Verfügung, die IT-basiert zu sinnvollen Informationen weiterverarbeitet werden müssen: Nutzungsverhalten, Ausfälle, Alter der Technik im Feld, … Heutzutage liegen die Grenzen weniger in der technischen Umsetzbarkeit, sondern eher in der Bereitschaft, Daten bereitzustellen, Datenschutz und der sinnvollen Auswertung.
Daten, auch als das „Gold des 21. Jahrhunderts“ tituliert, werden insbesondere in deutschen Mittelstandsbetrieben nur stiefmütterlich genutzt.
Trend 5: Ersatzteile aus dem 3D-Drucker
Der 3D-Druck hat – obwohl bereits seit mehreren Jahren in der wissenschaftlichen und praktischen Diskussion – den großen Durchbruch noch vor sich. Relativ hohe Herstellkosten und langsame Produktionsprozesse (ausschließlich) für Kunststoffprodukte führen dazu, dass er in erster Linie für teure Plastik-Teile mit geringsten Stückzahlen in Betracht kommt. Begonnen bei Oldtimern, bietet etwa Daimler inzwischen für ausgewählte Nutzfahrzeugteile eine 3D-Druck-Lösung an, und die Deutsche Bahn hat erst vor Kurzem angekündigt, auch Ersatzteile aus Metall im 3D-Druckverfahren herstellen zu lassen. Dieses Print-on-Demand-Verfahren führt nicht nur zu weniger Kapitalbindungs- und Lagerkosten, sondern „nachgebaute“ Ersatzteile können u. U. auch qualitativ hochwertiger als ihre Vorgänger produziert werden.
Geht man noch einen Schritt weiter und produziert diese Ersatzteile beim Kunden oder Logistikdienstleister vor Ort, können darüber hinaus auch Transportkosten entsprechend wegfallen.
Quo vadis, Spare Parts?
Spare Parts Management ist einer der Bereiche in der Logistik, der relativ wenig von der aktuellen Pandemie betroffen ist. Vor dem Hintergrund der hohen Kundenanforderungen an die logistische Performance treten hier Trends früher auf als in der Serienfertigung. Damit wird auch in Zukunft das Spare Parts Management seine Pionierrolle im Supply Chain Management beibehalten, getreu dem Motto: „Damit der Kunde zurückkommt und nicht das Teil!“
Prof. Dr. Dirk H. Hartel, geboren 1972 in Eschwege/Nordhessen, arbeitet seit 2007 als Professor für Logistik und Supply Chain Management an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Stuttgart, wo er den Studiengang BWL-Dienstleistungsmanagement leitet. Dirk Hartel absolvierte zunächst ein Duales Studium in Kooperation mit Siemens Nixdorf und studierte BWL parallel zu einer Tätigkeit bei Siemens im regionalen Marketing an der Universität Lüneburg. Von 1998 bis 2002 promovierte er bei Professor Wildemann an der TU München. Danach arbeitete er mehrere Jahre als Consultant für Supply Chain Management, Logistik und Organisation bei einer mittelständischen Unternehmensberatung in München, seit 2006 als Partner. Dr. Hartel übt Lehrtätigkeiten an privaten Universitäten und Hochschulen aus und ist nebenberuflich als Berater, Referent und Trainer tätig.
Veröffentlichungen in den Themenfeldern Logistik, Supply Chain Management, Supply Chain Risk Management, Outsourcing und Consulting, z. B. Bücher zu „Consulting und Projektmanagement in Industrieunternehmen“ (2009), „Fallstudien in der Logistik“ (2012), "Consultant-Knigge" (2013), "Logistics and Supply Chain Management - A German-Indian Comparison" (2017) sowie „Projektmanagement in Logistik und Supply Chain Management“ (2019).
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Wo?
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Alte Schöller Fabrik, Bucher Straße 137, 90419 Nürnberg (Forum)
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